Als Bauherr sollte man den Brauch des Richtfestes nicht gering schätzen oder gar versuchen, das Ritual mit einer Geldsumme zu ersetzen. Ehe er sich versieht, kann es ihm passieren, statt der Richtkrone einen Besen auf dem Dach vorzufinden! In manchen Regionen kann es auch ein Galgen oder ein Hering sein, den man statt der Richtkrone dann auf dem Dach vorfindet. Denn Zimmerleute halten das Brauchtum aufrecht, und dazu zählt das Richtfest mit Richtspruch und anschließendem geselligen Beisammensein aller am Bau beteiligten Handwerker.

Das Richtfest (auch Weihefest, Hebefest, Aufschlagfest genannt) ist vom Sinn her das ureigene Fest der Handwerker, die durch ihrer Hände Arbeit das Bauwerk erstellt haben. Dem Kreis der Gäste und Teilnehmer gehören an: Bauleute, die bislang am Bau tätig waren, Meister, Gesellen, Lehrlinge und Helfer, Architekt und Bauleiter sowie der Bauherr mit Angehörigen. Sie sollten die Hauptpersonen sein, mit denen das glückliche Gelingen des Baus gefeiert wird – und das Feiern ist ihnen hier das Wichtigste. Es ist der Ausdruck des Zusammenhaltes und des guten Miteinanders und der Freude an ihrem Handwerk und ihrer Tradition!

Nach dem alten Brauch wird der Richtkranz (auch Richtbaum oder Maien genannt), von den Zimmerleuten am Dachstuhl befestigt. Mit bunten Bändern oder Tüchern geschmückt, symbolisiert er den Stolz des Bauherren und der Handwerker!

Früher hatten die wandernden Zimmerleute (fahrende Gesellen) aus alter Tradition her bunte Heimattücher dabei. Die Zimmerleute hingen ihre Tücher an die Richtkrone und der Bauherr füllte dann die Tücher mit Proviant für die Weiterreise, die Zimmerleute nahmen die gefüllten Tücher ab und zogen weiter. Statt der bunten Tücher nimmt man heute bunte Bänder.

Der Richtspruch ist ein fester Bestandteil beim Richtfest, er gibt dem Dank an den Architekten, den Bauherrn, an alle an diesen Bauwerk Mitwirkenden sowie der Freude über die vollendete Arbeit Ausdruck. Und auch den Stolz der Zimmerleute auf ihr Handwerk, ihr Brauchtum und ihre Kollegen. Er beschwört das Glück für den Bau. Auf dass es alle, die da ein- und ausgehen, schütze.
Hierzu wird ein wenig „Handwerkszeug“, ein Glas und eine Flasche Schnaps benötigt. Zu diesem Zeitpunkt sollte die Festgemeinde ebenfalls mit einem Glas Schnaps ausgestattet worden sein. Kinder bekommen natürlich nur Apfelsaft, gehören aber als zukünftige Hausbewohner natürlich zur Festgemeinde. Der Zimmermann wird in seiner Rede des öfteren den Gästen zuprosten und trinken, doch nur er hat die Flasche zum Nachschenken! Die Gäste trinken eigentlich erst am Ende ... wenn sie solange aushalten können.

Der Zimmermann, der den Richtspruch hält, spricht laut und deutlich seinen Spruch. Danach hebt er das Glas, prostet der Festgemeinde zu und wirft das geleerte Glas auf den Boden oder gegen eine Wand, damit es zerspringt und die Scherben Glück bringen. Das ist der Auftakt für die Richtfeier. Der Bauherr lädt die Handwerker nochmals ausdrücklich zu Essen und Trinken ein! Ursprünglich musste der Bauherr den letzten Nagel einschlagen und für jeden benötigten Schlag eine Maß Bier an jeden Handwerker zahlen. Gewöhnlich übersteigt jedoch die Zahlpflicht das Konsumvermögen ...!


Geschichtlich findet der Richtspruch mit der Entstehung der Zünfte im frühen Mittelalter erstmals seine Erwähnung. Er hat keineswegs etwas mit Zauberformeln oder Beschwörungen zu tun. Der Richtspruch entspricht eher dem Sinn eines Gebetes. Denn er bittet um den Segen Gottes für das Haus. Auch danken die Zimmerleute dem Allmächtigen für seinen Schutz während ihrer Arbeit und dass er alle Gefahren von ihnen abgewendet hat. So wenden Sie oft, um alle Anwesenden daran zu erinnern, nach Ende des Richtspruches den Blick zum Himmel.

Mit Gunst und Verlaub,

steht gar herrlich anzusehen

der Bauherr wird es gern gestehen
das neue Haus stolz aufgericht
ein jeder tat hier seine Pflicht
der auf dem Bau mit tätig war.
Auf starken Mauern festem Grund
das Dachgesparr blickt in die Rund
in seines Holzwerks voller Pracht
recht als ein Meisterwerk gemacht,
damit‘s für lange Zeit zum Nutz
dem Menschen biete sicheren Schutz.


Prost!!!


Gesegnet sei das neue Haus
und die da gehen ein und aus.
Den Bauherren und seinen Lieben
möge nie ein Leid betrüben.


Prost!!!

Kurz und bündig

Wir wollen gratulieren,
gerichtet ist das Haus,
hat Fenster und hat Türen
und sieht gar stattlich aus.
Der Maurer hat's gemauert,
der Zimmerer überdacht,
doch dass es hält und dauert,
das steht in Gottes Macht.
Schützt auch das Dach vor Regen,
die Mauer vor dem Wind,
so ist doch allerwegen
an Gott allein gelegen,
ob wir geborgen sind.

Richtspruch

Froh versammelte Richtfestgäste,
lasst grüßen Euch auf‘s allerbeste
und hört nach altem Brauchtum an
vom Dachstuhl hoch den Zimmermann.

Der Maulwurf hockt im Ackergraben,

der Mensch jedoch soll`s besser haben,

er lebt im Krieg nur so gemein

und gräbt sich in die Erde ein.


Bald findet er ein Grundstück aus,

dann baut er sich ein festes Haus.

Zuerst muss es da Männer geben,

die pickeln und den Grund ausheben.

Mit Sand, mit Wasser und Zement,

stampft man hinein das Fundament.

Bald stehen die Umfassungsmauern,

wenn`s flott geht

wird`s nicht lange dauern.


Da kommt auch schon der Zimmerknecht

und zimmert das Gebälk zurecht.

Steht dann der Dachstuhl einmal droben,

kommt jeder um das Werk zu loben.

Der Bänderbaum schmückt das Gebäud

und kündet an den Tag der Freud.

Das erste Glas dem Architekten

und die den Bau zum Leben weckten.

Das zweite Glas will ich riskieren,

für alle die das Bauwerk führen.

Die Handwerks- und die Baugenossen,

die bisher schon viel Schweiß vergossen.

Das dritte Glas, das soll sich

lhnen, für all die das Haus bewohnen.

Drum möchte ich es ehrlich weihen

dem Hausherren und seinen Treuen.

Und nun, oh Glas jetzt musst du sterben,

bring Glück dem Bau mit deinen Scherben.

Mit Gunst und Verlaub!

Die Feierstunde hat geschlagen,
es ruhet die geübte Hand.
Nach harten, arbeitsreichen Tagen
grüßt stolz der Richtbaum nun ins Land.
Und stolz und froh ist jeder heute,
der tüchtig mit am Werk gebaut.
Es waren wack‘re Handwerksleute,
die fest auf ihre Kunst vertraut.
Drum wünsche ich, so gut ich‘s kann,
so kräftig wie ein Zimmermann,
mit stolz empor gehobnem Blick
dem neuen Hause recht viel Glück.


Wir bitten Gott, der in Gefahren
uns allezeit soll treu bewahrt,
er mög‘ das Bauwerk hier bewahren
vor Not und Schaden aller Art.

Nun nehm‘ ich froh das Glas zur Hand,
gefüllt mit Wein bis an den Rand,
und mit feurigen Saft der Reben
will jedermann die Ehr‘ ich geben,
wie sich´s nach alten Brauch gebührt,
wenn so ein Bau ist ausgeführt.


Das erste Glas der Bauherrschaft:
Hoch soll sie leben, hoch, hoch, hoch!

Nun brauchte man zu allen Zeiten
nicht nur den Kopf, nein auch die Hand.
Drum noch ein Hoch den Zimmerleuten,
durch deren Kraft der Bau erstand.
Hoch sollen sie leben, hoch, hoch, hoch!

Nun ist das Glas wohl ausgeleert
und weiter für mich nichts mehr wert,
drum werf‘ ich es zu Boden nieder,
zerschmettert braucht es keiner wieder,
doch Scherben bedeuten Glück und Segen
der Bauherrschaft auf allen Wegen!

Mehr Infos finden Interessierte in diesem Buch:

Richtfeste gestern & heute

Peter Kunze


166 Seiten, 14,8 x 21 cm, viele Abbildungen, schwarzweiß und farbig, Paperback

erschienen im Eigenverlag Peter Kunze, Leipzig

Feste soll man feiern ...